Wo Österreichs Eisenbahn begann
Karl Hohenlohe besucht das Eisenbahnmuseum Deutsch-Wagram – ORF III Beitrag „Aus dem Rahmen“
Das Eisenbahnmuseum Deutsch-Wagram steht im Mittelpunkt einer Ausgabe der ORF-III-Sendereihe „Aus dem Rahmen“, in der Karl Hohenlohe der Geschichte der Eisenbahn in Österreich nachspürt. Die Reise führt ihn von den Anfängen des Bahnzeitalters in Deutsch-Wagram bis ins Heizhaus Strasshof, wo große Dampflokomotiven und ein ehemaliger Präsidentenwaggon die spätere Entwicklung zeigen. Den Ausgangspunkt bildet jener Ort, an dem die erste Dampfeisenbahnstrecke endete – der Bahnhof von Deutsch-Wagram.
Der Beitrag macht klar, warum es gerade hier ein Eisenbahnmuseum gibt: Von Floridsdorf nach Wagram, dem heutigen Deutsch-Wagram, wurde 1837 das erste Teilstück der k.k. privilegierten Kaiser Ferdinands-Nordbahn eröffnet. Die rund 13 Kilometer lange Strecke markiert den Beginn des Dampfeisenbahnzeitalters in Österreich; der 23. November 1837 gilt als eine Art Geburtsstunde der Eisenbahn im Land. Im Gespräch mit Museumsdirektor Rudolf (Rudi) Rossak wird dieser historische Hintergrund pointiert nachgezeichnet und zugleich in den größeren Zusammenhang der Verkehrspolitik der Habsburgermonarchie gestellt.
Nordbahn und Netzwerk nach Osten
Rossak erinnert daran, dass die Bahn nicht zufällig nach Norden führte. Der Geologe und Bergbauingenieur Franz Xaver Riepl entwarf bereits um 1830 die Vision einer Verbindung von Wien zu den nordmährischen Eisen- und Kohlevorkommen bei Ostrau und weiter zu den Salzlagern bei Krakau. Die Monarchie war rohstoffpolitisch „ostorientiert“ – Eisen und Salz waren Schlüsselgüter für Industrie und Wirtschaft. Zunächst lehnte Kaiser Franz I. das Projekt ab, doch Riepl hielt an seiner Idee fest und gewann den Bankier Salomon von Rothschild als Finanzier. Nach dem Thronwechsel und mit Unterstützung Metternichs erhielt das Projekt unter Kaiser Ferdinand schließlich das Privileg; die Bahn trug fortan dessen Namen und war als privilegierte Linie vor Konkurrenz auf parallelen Trassen geschützt.
Der Bahnhof Deutsch-Wagram
Im Freigelände vor dem heutigen Museum erzählt Rossak die Geschichte der baulichen Entwicklung des Bahnhofs. Vom ursprünglichen Provisorium – einer einfachen Holzbude aus den Anfangsjahren – ist nichts mehr erhalten. Das erste gemauerte Bahnhofsgebäude entstand nach längeren Verhandlungen und wurde 1854 fertiggestellt. Später kamen weitere Bauten hinzu, etwa der Arbeiterwartesaal von 1908, der den Fahrgästen der zweiten und dritten Klasse vorbehalten war, während Reisende der ersten Klasse im repräsentativeren Gebäude abgefertigt wurden. Über den Gleisen ist noch heute die Wasserstation zu sehen, aus dem Jahr 1846, in dem Wasser mit Dampfkraft aus dem Boden hochgepumpt wurde – unverzichtbare Infrastruktur, denn jede Dampflok benötigte unterwegs große Mengen Wasser für den Kesselbetrieb.
Technik und Pionierleistung
Ein zentrales Thema im Gespräch ist die Lokomotive „Austria“. Sie wurde – wie ihre Schwestermaschine „Moravia“ – in der Fabrik von George Stephenson in England gebaut, zerlegt per Schiff nach Triest transportiert und von dort mit Fuhrwerken über den Semmering nach Wien gebracht. Auf einer eigens angelegten Probestrecke in der heutigen Prater Hauptallee schulten englische Lokführer und Techniker das österreichische Personal im Umgang mit der neuen Technik. Die „Austria“ führte den Eröffnungszug zwischen Floridsdorf und Deutsch-Wagram, die „Moravia“ bespannte kurz darauf den ersten planmäßigen Personenzug. Trotz ihrer bescheidenen Leistung von rund 30 PS und einer Geschwindigkeit von etwa 30 bis 40 km/h waren diese frühen Maschinen ein technisches Wunder ihrer Zeit.
Ausflugsverkehr und gesellschaftliche Veränderungen
Der Beitrag zeigt auch die soziale Dimension dieser neuen Mobilität. Die Fahrzeit von Floridsdorf nach Deutsch-Wagram betrug plötzlich nur mehr rund 26 Minuten – ein Einschnitt für Fuhrwerker, Gastwirte entlang der alten Landstraße und andere, deren Erwerb auf langsame Reisegeschwindigkeiten angewiesen war. Gleichzeitig setzte ein regelrechter Ausflugsboom ein: Schon in den ersten Monaten nutzten Zehntausende Wiener die „Lustfahrten“ ins Umland. Ein findiger Unternehmer aus Wien, Weißenberger, ließ sich ein Kaffeehaus am Bahnhof genehmigen und profitierte enorm von diesem Publikumsverkehr. Als einmal ein Zug verspätet war und die Rückfahrt nach Wien sich um Stunden verzögerte, eskalierte die Stimmung im Lokal – ein Gerichtsprotokoll berichtet von einer handfesten Rauferei und beträchtlichen Schäden. Solche Anekdoten machen im Film deutlich, wie stark die Eisenbahn das Alltagsleben veränderte – und wie emotional die neue Technik erlebt wurde.
Das Eisenbahnmuseum Deutsch-Wagram
Im Inneren des Eisenbahnmuseums Deutsch-Wagram nutzt Karl Hohenlohe Modelle, Dokumente und historische Objekte, um die frühen Jahre der Kaiser Ferdinands-Nordbahn anschaulich zu machen. Ein großformatiges Modell rekonstruiert nach einem zeitgenössischen Stich die Situation des Bahnhofs um 1837: Empfangsgebäude, überdachte Bahnsteige und das Umfeld, in dem sich das Ausflugspublikum bewegte. Rossak erläutert die verschiedenen Wagenklassen, die in einem weiteren Modell dargestellt sind. Die erste Klasse war gepolstert, mit verglasten Fenstern und geschütztem Innenraum, während die zweite Klasse nur einfache Holzbänke bot und die Fenster nicht vollständig geschlossen waren. In der dritten Klasse reichte ein schlichtes Dach über einem offenen Wagen, und die vierte Klasse bestand im Wesentlichen aus einem überdachten Güterwagen, in dem die Fahrgäste stehend an Haltestangen Halt suchen mussten. Die Preisunterschiede waren deutlich, und der soziale Abstand zwischen den Klassen setzte sich im Inneren der Wagen unmittelbar fort.
Auch die Beleuchtung der Züge wird anhand originaler Laternen thematisiert. Große Petroleumleuchten konnten vorne und hinten an Lokomotiven befestigt und rasch ausgetauscht werden. Ein weißes Licht kennzeichnete die Front des Zuges, ein rotes Licht das Schlussende. Bevor es eigenständige rote Gläser gab, setzten Eisenbahner vorsteckbare rote Tafeln vor die Flamme; wurden sie nicht benötigt, steckten sie in eigenen Halterungen an der Laterne. Später erhielten Dampflokomotiven Dynamos, und die Beleuchtung wurde elektrifiziert, doch das Grundprinzip, Züge durch Lichtsignale eindeutig erkennbar zu machen, blieb unverändert.
Eisenbahnmuseum Deutsch-Wagram Innenansicht. Foto: © Rudolf Rossak
Der Blick über Deutsch-Wagram hinaus
Der ORF-Beitrag spannt von Deutsch-Wagram aus den Bogen zur weiteren Entwicklung der Eisenbahn: zur Semmeringbahn als erster großen Gebirgsbahn, zu den mächtigen Dampflokomotiven des 20. Jahrhunderts, zu Signaltechnik und Stellwerken sowie zur Verstaatlichung und Elektrifizierung des Netzes.
Im Heizhaus Strasshof besucht Karl Hohenlohe eine der größten Sammlungen historischer Schienenfahrzeuge. Es werden Lokomotiven der Reihe 52, die Schnellzuglokomotive 310 sowie der Präsidentenwaggon „Salon 10“ gezeigt; viele Fahrzeuge sind betriebsfähig und werden bei Sonderfahrten eingesetzt.
Für das Eisenbahnmuseum Deutsch-Wagram bedeutet die Sendung eine besondere Form der Würdigung. Sie rückt den Ort als historischen Ausgangspunkt der österreichischen Eisenbahngeschichte ins Zentrum und zeigt, dass hier – im Unterschied zum großen Fahrzeugpark in Strasshof – nicht Lokomotiven und Waggons in Reihe stehen, sondern vor allem Modelle, Dokumente, Bilder und Alltagsobjekte die Anfänge des Bahnzeitalters erzählen. Das kleine Museum konzentriert sich auf die Geschichte der Kaiser Ferdinands-Nordbahn am Originalschauplatz und macht sichtbar, dass das Eisenbahnzeitalter in Österreich genau hier begonnen hat; der dazugehörige ORF-III-Beitrag ist für begrenzte Zeit auf ORF ON verfügbar.
Museumsgesellschaft Deutsch-Wagram
Autor: Christian Matula
Karl Hohenlohe mit Museumsdirektor Rudolf Rossak während der Dreharbeiten im Juni 2025 vor dem Eisenbahnmuseum Deutsch-Wagram. Foto: © ORF ON























